Cushing-Syndrom: Cortisonüberschuss schadet Gedächtnis und Psyche langfristig - Besserung nach erfolgreicher Therapie

Serie der DGE zu Tumoren der Hirnanhangdrüse: „Wenn die Schaltzentrale der Hormone entgleist“, Folge 3 von 4

Hamburg, November 2021 – Tumoren der Hypophyse (Hirnanhangdrüse) können ein sogenanntes Cushing-Syndrom auslösen. Erste Zeichen des erhöhten Cortisolspiegels sind etwa Gewichtszunahme, insbesondere am Körperstamm, Verlust der Muskulatur, schlechte Wundheilung und Infektanfälligkeit. Weniger bekannt sind die geistigen und seelischen Schäden infolge des Cushing-Syndroms: Eine dauerhafte Überproduktion des Stresshormons beeinträchtigt auch Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit, Sprachvermögen und räumliche Wahrnehmung sowie die psychische Stabilität. Sie bleiben oft noch Jahre nach einer erfolgreichen Therapie bestehen. Dies zeigt eine aktuelle Übersichtsarbeit (1). Sie betont deshalb die Notwendigkeit einer intensiven Nachsorge. Dies deckt sich mit soeben erschienenen internationalen Empfehlungen zur komplexen Diagnostik und Therapie der Erkrankung (2). Um die Versorgung Betroffener zu verbessern, möchte die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) auf diese Erkrankung aufmerksam machen.

Cortisol hat viele Funktionen im Körper, etwa bei der Immunregulation. Ist es im Übermaß vorhanden, kann es den Körper jedoch schädigen. Zu den Ursachen für einen anhaltenden Hormonüberschuss gehören – neben Stress – entweder eine sehr hohe Zufuhr von cortisonhaltigen Medikamenten (exogenes Cushing-Syndrom) oder eine krankhafte körpereigene Überproduktion von Cortisol (endogenes Cushing-Syndrom). „In 80 bis 85 Prozent der Fälle beruht Letzteres auf einem Tumor der Hypophyse“, erläutert Professor Dr. med. Ilonka Kreitschmann-Andermahr, Vorstandsmitglied der DGE und Leiterin der Ambulanz an der Klinik für Neurochirurgie und Wirbelsäulenchirurgie am Universitätsklinikum Essen. „In dem Tumor des Vorderlappens der Hypophyse wird ein Überschuss des adrenocorticotropen Hormons (ACTH) gebildet. Das ACTH regt die Nebennierenrinde zu einer übermäßigen Cortisol-Produktion an“, so die Neurologin. Wenn dies der Fall ist, spricht man von einem Morbus Cushing.

Das endogene Cushing-Syndrom ist viel seltener als die exogene Variante. Schätzungen gehen von jährlich drei neu diagnostizierten Patientinnen und Patienten pro eine Million Einwohner aus (3).

Morbus Cushing ist eine schwere Erkrankung des Hormonsystems, sagt Kreitschmann-Andermahr Sie ziehe weitere Krankheiten nach sich. Dazu gehöre eine erhöhte Anfälligkeit der Patienten für Bluthochdruck, Glukosestoffwechselstörung sowie Osteoporose. Auch die Sterblichkeit sei erhöht.

Das Gehirn kann sich durch zu viel Cortisol verändern

Zu viel Cortisol könne ebenfalls das Gehirn und neuropsychische Funktionen beeinträchtigen. „Das liegt daran, dass viele Gehirnzellen insbesondere in dem für die Gefühlswahrnehmung wichtigen inneren Rand des Schläfenlappens, dem sogenannten Hippocampus – auf ihrer Oberfläche Andockstellen für Cortisol ausbilden“, erläutert Kreitschmann-Andermahr. Diese sind wichtig für das Denkvermögen und seelische Vorgänge. Weitere dieser Rezeptoren in anderen Gehirnarealen spielen eine Rolle bei rationalen Bewertungen, Zusammenhangsdeutungen und der Gedächtnisbildung. „Es ist daher leicht nachzuvollziehen, dass ein Überschuss an Cortisol die Gefühlswelt sowie Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Sprachvermögen und Wahrnehmung gehörig aus dem Gleichgewicht bringen kann.“ Bildgebende Untersuchungen zeigen entsprechend eine Rückbildung dieser Gehirnstrukturen bei Patienten mit einem dauerhaft zu hohen Cortisolspiegel. „Chronischer Cortisolüberschuss kann das Gehirn verändern, so dass es schwieriger wird, zu denken und sinnvolle Entscheidungen zu treffen“, fasst die Expertin zusammen. Erholt sich die Gedächtnisfunktion nimmt auch das Volumen des Hippocampus und anderer Hirnregionen wieder zu.

In der Regel wird der Tumor chirurgisch entfernt, meist durch einen minimalinvasiven Eingriff: Bei der sogenannten transsphenoidalen Hypophysen-Operation erfolgt der Zugang zur Schädelbasis durch die Nase. Ist das nicht oder nur unvollständig möglich, so stehen andere Behandlungsoptionen wie Medikamente zur Verfügung, etwa eine Strahlentherapie sowie die Entfernung der Nebennieren.

Neuropsychologische Trainingsprogramme können helfen

Erfreulicherweise bessern sich die neuropsychologischen Funktionen von Patienten mit einem Morbus Cushing nach erfolgreicher Behandlung im Laufe der Zeit wieder. Wenn zusätzlich eine Depression besteht, muss diese zuerst behandelt werden. „Unbehandelte Depressionen können Gedächtnis- und andere Hirnleistungsstörungen verstärken“, so die Neurologin. Bleiben trotzdem schwere Beeinträchtigungen bestehen, könnten eine neuropsychologische Diagnostik und entsprechende Trainingsprogramme hilfreich sein, empfiehlt sie.

„Die aktuellen Consensus-Empfehlungen unterstützen eine rasche Diagnostik und Therapie (2). Wir raten, diese in entsprechenden Zentren durchführen zu lassen. Wichtig ist aber auch die Aufklärung über die vielfältigen Symptome. Insbesondere bei ihrer Kombination sollte der behandelnde Arzt an die Erkrankung denken. Auch die Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem geben wichtige Hinweise“, betont Professor Dr. med. Stephan Petersenn, Pressesprecher der DGE und Leiter der ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie in Hamburg.

Quellen

(1) Sonja Siegel, Cedric Fabian Kirstein, Agnieszka Grzywotz, Bernd Otto Hütter, Karsten Henning Wrede, Victoria Kuhna, Ilonka Kreitschmann-Andermahr: Neuropsychological Functioning in Patients with Cushing’s Disease and Cushing’s Syndrome.
Exp Clin Endocrinol Diabetes 2021; 129: 194–202. DOI: 10.1055/a-1247-4651

(2) Fleseriu M, Auchus R, Bancos I, Ben-Shlomo A, Bertherat J, Biermasz NR, Boguszewski CL, Bronstein MD, Buchfelder M, Carmichael JD, Casanueva FF, Castinetti F, Chanson P, Findling J, Gadelha M, Geer EB, Giustina A, Grossman A, Gurnell M, Ho K, Ioachimescu AG, Kaiser UB, Karavitaki N, Katznelson L, Kelly DF, Lacroix A, McCormack A, Melmed S, Molitch M, Mortini P, Newell-Price J, Nieman L, Pereira AM, Petersenn S, Pivonello R, Raff H, Reincke M, Salvatori R, Scaroni C, Shimon I, Stratakis CA, Swearingen B, Tabarin A, Takahashi Y, Theodoropoulou M, Tsagarakis S, Valassi E, Varlamov EV, Vila G, Wass J, Webb SM, Zatelli MC, Biller BMK: Consensus on diagnosis and management of Cushing's disease: a guideline update.
Lancet Diabetes Endocrinol. 2021 Oct 20: S2213-8587(21)00235-7. DOI: 10.1016/S2213-8587(21)00235-7

(3) Ragnarsson O, Olsson DS, Chantzichristos D, Papakokkinou E, Dahlqvist P, Segerstedt E, Olsson T, Petersson M, Berinder K, Bensing S, Höybye C, Edén Engström B, Burman P, Bonelli L, Follin C, Petranek D, Erfurth EM, Wahlberg J, Ekman B, Åkerman AK, Schwarcz E, Bryngelsson IL, Johannsson G: The incidence of Cushing’s disease: a nationwide Swedish study.
Pituitary, 22(2), 179-186. DOI: 10.1007/s11102-019-00951-1

Serie der DGE zu Tumoren der Hirnanhangdrüse: „Wenn die Schaltzentrale der Hormone entgleist“

Folge 1 (bereits erschienen): Prolaktinom: modernes Therapiespektrum umfasst Medikamente und Operation – Tumorentfernung durch die Nase bietet in vielen Fällen eine sichere Alternative

Folge 2 (bereits erschienen): Riesenwuchs nicht mit normalem Alterungsprozess verwechseln – Durch frühzeitige Diagnose von Akromegalie Folgeerkrankungen vermeiden

Folge 3: Morbus Cushing

Folge 4 (in Vorbereitung): Kraniopharyngeom – wenn ein gutartiger Gehirntumor eigentlich bösartig ist. Komplexe Therapie: Behandlung in Zentren empfohlen

Kontakt für Journalisten

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Prof. Dr. med. Stephan Petersenn (Mediensprecher)
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