Medulläres Schilddrüsenkarzinom (MTC)

Calcitonin als zuverlässigen Tumormarker nutzen

Altdorf, Januar 2024 – Haben eine Patientin oder ein Patient einen verdächtigen Schilddrüsenknoten, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e.V. (DGE) die Bestimmung des Serum-Calcitoninspiegels (1). Calcitonin ist ein Tumormarker, der zuverlässig auf ein medulläres Schilddrüsenkarzinom (medullary thyroid cancer, MTC) hinweist In einem frühen Tumorstadium entdeckt, besteht in der Mehrzahl der Fälle eine günstige Prognose. Aktuelle Forschungsergebnisse betonen bei Vorliegen eines MTCs zudem die Bedeutung der Mutationsanalyse eines bestimmten Abschnitts im Erbgut, des RET-Protoonkogens. Veränderungen dieses Gens spielen bei der Entstehung und Ausbreitung der Erkrankung eine wichtige Rolle. In fortgeschrittenen Erkrankungsstadien ermöglicht der Nachweis einer solchen Mutation eine zielgerichtete Medikamententherapie.

Ein neu aufgetretener, tastbarer Schilddrüsenknoten, eine schmerzlose Schwellung der Halslymphknoten oder Heiserkeit und Schluckbeschwerden: dies können Hinweise auf Krebs der Schilddrüse sein. Das medulläre Schilddrüsenkarzinom (MTC) macht nur etwa 3 bis 8 Prozent aller Schilddrüsenkarzinome aus. Es nimmt jedoch eine Sonderstellung ein: Die deutlich häufigeren, differenzierten Schilddrüsenkarzinome (DTC) gehen von den Schilddrüsenhormon-produzierenden Zellen selbst aus und nehmen daher Jod auf. Dagegen leitet sich das MTC von den Calcitonin-produzierenden C-Zellen ab. Diese liegen zwischen den Hohlraumstrukturen des Schilddrüsengewebes und nehmen kein Jod auf. Damit entfällt auch die Möglichkeit einer klassischen Radiojodtherapie, die bei entarteten Schilddrüsenzellen auch bei fortgeschrittener Erkrankung oft eine Heilung ermöglicht.

Rechtzeitig erkannt, ist vollständige Heilung möglich

„Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend für eine gute Überlebenschance“, sagt Professor Dr. Dr. med. Matthias Kroiß, Leiter des Zentrums für Endokrine Tumore am LMU-Klinikum München. Er weiß: Bei Vorliegen von Schilddrüsenknoten kann durch Messung des Calcitonins im Blut der Verdacht auf ein MTC schon frühzeitig gestellt werden. „Nach Empfehlung der Sektion Schilddrüse liegt bei Frauen ab 30 pg/ml, bei Männern ab 60 pg/ml Calcitonin mit ausreichend hoher Wahrscheinlichkeit ein MTC vor, um weitere Behandlungsschritte zu rechtfertigen (2, 3)“, so Kroiß. Rechtzeitig erkannt, kann der Tumor durch eine Operation entfernt werden. Dann ist vollständige Heilung möglich. „Calcitonin ist zusammen mit dem Ultraschall auch ein zuverlässiger Marker, um nach Entfernung der Schilddrüse und, wenn nötig, von Lymphknoten, das Verbleiben oder Wiederauftreten von Tumorzellen im Körper zu erkennen“, so der Experte.

Oft liegt dem MTC eine Mutation im RET-Protoonkogen zugrunde

In fortgeschrittenen Stadien mit großen Tumoren und Ausbreitung im Körper kann eine medikamentöse Therapie erforderlich werden. Schon länger gibt es Erfahrungen mit den Tyrosinkinase-Inhibitoren Cabozantinib und Vandetanib. Kürzlich ist auch in Deutschland der gezielter wirkende RET-Inhibitor Selpercatinib zugelassen worden. Denn dem MTC liegt oft eine Mutation im RET-Protoonkogen zugrunde. Diese wird in etwa 25% der Fälle vererbt, liegt aber auch bei vielen nicht erblich bedingten (sporadischen) MTC im Tumor vor und kann einen aggressiveren Verlauf begünstigen: „Bei einem metastasierten MTC finden wir in 90 Prozent der Fälle eine RET-Mutation“, so Kroiß.

Alle Betroffenen mit MTC sollten eine genetische Beratung erhalten

Um eine erbliche Ursache nicht zu übersehen, sollten alle Patientinnen und Patienten mit MTC eine genetische Beratung erhalten, so Kroiß. Denn: Die erbliche Erkrankung ist auch mit weiteren Tumoren vergesellschaftet, deren Auftreten frühzeitig erkannt werden muss. Bei sporadisch auftretenden MTC, die nicht durch Operation geheilt wurden, kann im Tumor der Nachweis einer RET-Mutation erfolgen. „In diesen Fällen wirken dann oft medikamentöse Therapien und führen zu einer guten Tumorkontrolle über meist längere Zeiträume“, so der Experte.

Über alle Tumorstadien hinweg leben etwa 61 bis 81 Prozent der Betroffenen nach 10 Jahren noch. Studien fanden für frühe Erkrankungs-Stadien kein statistisch signifikant schlechteres Gesamtüberleben verglichen mit der Normalbevölkerung (4).

Modernes Behandlungskonzept ist exzellentes Beispiel für Präzisionsmedizin

„Die aktuellen Entwicklungen in der Diagnose und Therapie des MTC bieten Hoffnung für unsere Patientinnen und Patienten – insbesondere die medikamentösen Therapieansätze sind in dem Zusammenspiel von molekularer Diagnostik und spezifischer Therapie ein exzellentes Beispiel für Präzisionsmedizin“, sagt Professor Dr. med. Stephan Petersenn, Mediensprecher der DGE und Inhaber der ENDOC-Praxis für Endokrinologie und Andrologie in Hamburg. „Da es sich jedoch um eine seltene Erkrankung handelt und die Diagnostik und Therapie bei metastasiertem MTC komplex sind, sollten diese Patienten an spezialisierten Zentren mitbetreut werden“, empfiehlt er.

Quellen

(1) Matthias Kroiß, Viktoria Florentine Köhler, Christine Spitzweg: Medulläres Schilddrüsenkarzinom; Angewandte Nuklearmedizin 2023; 46: 241–246. doi: 10.1055/a-2030-6731

(2) Allelein S, Ehlers M, Morneau C et al. Measurement of Basal Serum Calcitonin for the Diagnosis of Medullary Thyroid Cancer. Horm Metab Res 2018; 50: 23–28 doi: 10.1055/s-0043-122237

(3) Frank-Raue K, Schott M, Raue F. Recommendation for Calcitonin Screening in Nodular Goiter. Dtsch Med Wochenschr 2018; 143: 1065–1069 doi: 10.1055/a-0585-8097

(4) Mathiesen JS, Kroustrup JP, Vestergaard P et al. Survival and Long-Term Biochemical Cure in Medullary Thyroid Carcinoma in Denmark 1997–2014: A Nationwide Study. Thyroid 2019; 29: 368–377 doi 10.1089/thy.2018.0564

Interessenkonflikte

Professor Matthias Kroiß erklärt, innerhalb der letzten 3 Jahre Forschungsunterstützung (Ipsen, Lilly, Loxo Oncology), und Beraterhonorare (Bayer, Eisai, Lilly) sowie Vortragshonorare (Lilly, Ipsen, Roche, Sanofi Aventis Deutschland) erhalten zu haben.

Professor Stephan Petersenn erklärt, Vortragshonorare von Lilly und Ipsen erhalten zu haben.

Kontakt für Journalistinnen und Journalisten

Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)
Prof. Dr. med. Stephan Petersenn (Mediensprecher)
Dr. Adelheid Liebendörfer
Postfach 30 11 20
D-70451 Stuttgart
Telefon: 0711 89 31-173
Telefax: 0711 89 31-167

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