Kropf, Schilddrüsenknoten, verminderte Intelligenz: Zu wenig Jod kann schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben
Rückkehr des Jodmangels in Deutschland
7. Deutsche Hormonwoche der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) vom 24. September bis 1. Oktober 2022
Altdorf/Bielefeld, 23. August 2022 – Anlässlich des Beschusses des Atomkraftwerks Saporischschja in der Ukraine ist das Interesse an Jod derzeit groß. Dabei geht es jedoch um eine vorbeugende Einnahme - die Schilddrüse soll so vor radioaktiv verseuchtem Jod geschützt werden. Weniger im Fokus steht, dass Deutschland nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO wieder zu einem Jodmangelgebiet geworden ist (1). Hauptgrund ist der Rückgang des Gebrauchs von jodiertem Speisesalz in der professionellen Lebensmittelverarbeitung, etwa bei Fertiggerichten. Werde nicht bewusst auf eine gute Jodversorgung geachtet, drohe ein Anstieg von Schilddrüsenvergrößerungen (Kröpfen) und Schilddrüsenknoten in Deutschland, sagt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE) im Vorfeld ihrer Online-Pressekonferenz am 20. September 2022 der 7. Deutschen Hormonwoche (24. September bis 1. Oktober 2022). Schwangere seien durch einen Jodmangel besonders gefährdet. Er könne die geistige und körperliche Entwicklung des ungeborenen Kindes gefährden.
Jod ist ein lebenswichtiger Baustein für Gesundheit und Wohlbefinden. Fehlt das Spurenelement, kann die Schilddrüse die Hormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) nicht herstellen. Sie spielen eine zentrale Rolle etwa bei der Steuerung der körperlichen und geistigen Entwicklung, aber auch beim Protein-, Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel sowie bei der Regulation des Wärme- und Kälteempfindens.
Weniger Jodsalz in Fertiggerichten durch Kostendruck und Regulierungsvorgaben
Doch das Robert-Koch-Institut dokumentiert eine rückläufige Jodversorgung (2). „Sie ist hauptsächlich auf einen geringeren Einsatz von jodiertem Speisesalz in der professionellen Lebensmittelverarbeitung zurückzuführen“, sagt Professor Dr. med. Joachim Feldkamp, Direktor der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin, Endokrinologie, Diabetologie und Infektiologie am Klinikum Bielefeld. In der Lebensmittelindustrie werde zwar oftmals sehr viel Salz eingesetzt, jedoch immer seltener die jodierte Variante. Stehen dann häufig Fertiggerichte auf dem Speiseplan, wirke sich das auf die Versorgung aus, so der Endokrinologe. Die wesentlichen Gründe für den Rückgang sind zum einen der Kostendruck: „Jodiertes Speisesalz ist geringfügig teurer“. Hinzu komme die Internationalisierung der Märkte: „Da in verschiedenen Ländern unterschiedliche Regularien zur Möglichkeit der Jodierung von Speisesalz bestehen, wird von den Lebensmittelproduzenten oft der zulassungstechnisch einfachere und kostengünstigere Weg ohne jodiertes Speisesalz eingeschlagen“, führt Feldkamp aus.
Unjodiertes Speisesalz und kochsalzarme Ernährung verstärken Jodmangel
„Auch wenn etwa 70 bis 75 Prozent der privaten Haushalte erfreulicherweise jodiertes Speisesalz verwenden, greifen einige Konsumenten vermehrt bewusst zu unjodiertem Salz oder setzen auf kochsalzarme Ernährung“, sagt der Experte. Dies verstärke die Mangelsituation. Er warnt: „Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen schlechter Jodversorgung und dem Auftreten von Schilddrüsenvergrößerungen und Schilddrüsenknoten (3)“. Damit werde auch die Häufigkeit von Schilddrüsenoperationen wieder steigen. Zudem entwickeln sich bei Jodmangel häufiger die gutartigen hyperfunktionellen Knoten, die sogenannten „heißen Knoten“. Diese können zu einer Überfunktion der Schilddrüse führen. „Zeichen dafür sind Schwitzen, Pulsbeschleunigung, Durchfall, Gewichtsabnahme, Unruhe, Schlafstörungen, Ängste, Konzentrationsstörungen.“ Aber auch ernsthafte Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern sind mögliche Folgen.
Erhöhter Jodbedarf in der Schwangerschaft – schon leichter Mangel kann Intelligenz des Kindes beeinträchtigen
Vor allem Frauen sollten während Schwangerschaft und Stillzeit auf eine zusätzliche Jodzufuhr achten. Der beschleunigte Stoffwechsel während der Schwangerschaft erhöhe den Jodverbrauch und führe zu einer höheren Ausscheidung im Urin. Schon ein leichter Jodmangel der Mutter kann den Intelligenzquotienten (IQ) beim Kind beeinträchtigen (4). „Die DGE rät daher in ihren „Klug Entscheiden“- Empfehlungen gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) allen Frauen die Supplementierung von Jod in Schwangerschaft und Stillzeit (5)“, sagt auch DGE-Mediensprecher Professor Dr. med. Stephan Petersenn von der ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie in Hamburg.
Zurückhaltung mit dem Spurenelement ist jedoch geboten, wenn eine Schilddrüsenüberfunktion oder eine bösartige Schilddrüsenerkrankung vorliegt.
Die empfohlene tägliche Zufuhr an Jod beträgt 150-200 Mikrogramm (µg) Jod. Schwangere und Stillende dürfen die doppelte Menge enthalten. Eine ausreichende Jodversorgung ist leicht möglich, wenn bewusst auf den Verzehr jodhaltiger Lebensmittel (inklusive jodiertem Speisesalz) geachtet und häufig selbst gekocht wird: „Jodhaltige Nahrungsergänzungsmittel sind in der Regel dann nicht notwendig“, sagt Feldkamp. Bei Schwangeren und Stillenden oder Personen, die auf tierische Lebensmittel wie Fleisch, Fisch, Milch und Eier verzichten, kann eine Supplementierung sinnvoll sein. Um etwa eine Überfunktion der Schilddrüse zu verhindern, sollte diese jedoch erst nach ärztlicher Beratung erfolgen.
Der neueste Stand rund um Jod und Gesundheit ist ein Thema der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE) am 20. September 2022 im Vorfeld der Hormonwoche (24. September bis 1. Oktober 2022). Die Hormonwoche wird von DGE-Vizepräsident Professor Prof. Dr. rer. nat. Jan P. Tuckermann vom Institut für Molekulare Endokrinologie der Tiere an der Universität Ulm organisiert.
Quellen
(1) Zimmermann MB, Andersson M 2021; Eur J Endocrinol 185(1):R13-R21. doi: 10.1530/EJE-21-0171
(2) Hey I, Thamm M: Abschlussbericht: Monitoring der Jod und Natriumversorgung bei Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Studie des Robert Koch-Instituts zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS Welle 2). 2019
(3) Carlé A, Krejbjerg A, Laurberg P. Epidemiology of nodular goitre. Influence of iodine intake. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 2014; 28: 465-479
(4) Kersting M, Hockamp N, Burak C et al.: Studie zur Erhebung von Daten zum Stillen und zur Säuglingsernährung in Deutschland – SuSe II. In: Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.): 14. DGE-Ernährungsbericht. Vorveröffentlichung Kapitel 3. Bonn (2020) V1–V 34
http://www.dge.de/14-dge-eb/vvoe/kap3
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