Schilddrüsenprobleme bei Kindern und Jugendlichen: Medikamente in vielen Fällen unnötig
Berlin – Eine Unterfunktion der Schilddrüse kann die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen immens beeinträchtigen – schließlich ist das kleine Organ ein wichtiger Hormonproduzent. Ein Mangel an Schilddrüsenhormonen kann über eine Blutanalyse jedoch früh erkannt und durch die Gabe des entwicklungsrelevanten Hormons LT4 ausgeglichen werden. Daher ist es auf den ersten Blick erfreulich, dass Kinder und Jugendliche immer häufiger auf auffällige Schilddrüsenwerte hin untersucht werden. Die Tests führen jedoch auch vermehrt dazu, dass Kinder die Hormone fälschlicherweise erhalten – etwa, weil die Funktion ihrer Schilddrüse nur vorübergehend oder nur leicht beeinträchtigt ist. Wie eine solche Übertherapie vermieden werden kann, diskutieren Experten auf der gemeinsamen Pressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), die am 18. Juni 2019 in Berlin stattfindet.
Müdigkeit, Antriebslosigkeit oder Übergewicht – es sind sehr unspezifische, auch in anderem Zusammenhang keineswegs seltene Symptome, mit denen sich eine Schilddrüsenunterfunktion bei Kindern und Jugendlichen bemerkbar macht. Ärzte sehen sich daher häufig veranlasst, die Schilddrüsenwerte ihrer jungen Patienten zu überprüfen. „Aus Sorge um die Entwicklung der Kinder sind diese Tests auch gerechtfertigt“, sagt Professor Dr. med. Heiko Krude, Direktor des Instituts für Experimentelle Pädiatrische Endokrinologie an der Charité–Universitätsmedizin Berlin. Denn für Kinder und Jugendliche stellt eine Schilddrüsenunterfunktion eine ernsthafte Gefahr dar: Tritt die Hormonstörung bereits im Kindesalter auf, können sich die geistige und sprachliche Entwicklung sowie das körperliche Wachstum verzögern. Bei einer Erkrankung im Jugendalter entwickeln sich oft Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen.
Als wichtigster Blutwert zur Bestimmung einer Schilddrüsenunterfunktion gilt der so genannte TSH-Wert. TSH steht für Thyreoidea-stimulierendes Hormon oder Thyreotropin. „Dieses Hormon regt in der Schilddrüse die Bildung von LT4 und LT3 an“, erläutert Professor Matthias M. Weber, Mediensprecher der DGE. Nur wenn die Schilddrüse diese wichtigen Hormone in ausreichender Menge produziert, werde die TSH-Produktion über einen Rückkopplungsmechanismus gedrosselt. Arbeitet die Schilddrüse jedoch nicht richtig und stellt zu wenig LT4 und LT3 her, versuche der Körper, über eine zunehmende TSH-Produktion gegenzusteuern.
Dennoch weist nicht jeder erhöhte TSH-Wert auf eine echte Schilddrüsenunterfunktion hin. Das TSH wirkt auf die Schilddrüse mit dem Ziel, die Bildung von T4 und T3 zu stimulieren. Häufig liegen die eigentlich krankheitsrelevanten Werte für LT4 und LT3 oft im Referenzbereich – trotz auffälligem TSH. Eine Hormonbehandlung ist dann unnötig. „Dennoch wird meist allein aufgrund des erhöhten TSH-Wertes eine Therapie mit LT4 eingeleitet“, kritisiert Krude.
Für die jungen Patienten sei dies in mehrfacher Hinsicht schädlich. Zum einen müssten sie die tägliche Einnahme von Tabletten in ihren Tagesablauf einplanen, zum zweiten werde das Gesundheitsbewusstsein der Jugendlichen gestört. In einer ohnehin schwierigen Phase der Selbstwahrnehmung empfänden sie sich als krank, obwohl es dafür keinen Grund gebe. Nicht zuletzt bestehe auch das Risiko, durch die Hormongaben eine Schilddrüsenüberfunktion herbeizuführen.
Krude plädiert daher dafür, einen leicht erhöhten TSH-Wert nach drei Monaten, einen deutlich erhöhten Wert nach sechs Wochen erneut zu kontrollieren – zunächst ohne eine Behandlung einzuleiten. Steigen die Werte in dieser Zeit nicht weiter an, empfiehlt der erfahrene Pädiater lediglich eine weitere Kontrolle. „Große Studien zeigen jedoch, dass der TSH-Wert in der Zwischenzeit meist spontan wieder im Referenzbereich liegt“, beruhigt er.
Terminhinweis für Journalisten
Gemeinsame Pressekonferenz
der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)
und der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)
Termin: Dienstag, 18. Juni 2019, 11.00 bis 12.00 Uhr
Ort: Tagungszentrum im Haus der Bundespressekonferenz, Raum 4
Anschrift: Schiffbauerdamm 40/Ecke Reinhardtstr. 55, 10117 Berlin
Themen und Referenten
Endokrine Disruptoren strenger regulieren: wie Umwelthormone die Gesundheit beeinträchtigen
Professor Dr. rer. nat. Josef Köhrle
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE), Direktor des Instituts für Experimentelle Endokrinologie an der Charité–Universitätsmedizin Berlin
Kinder und Jugendliche mit Diabetes: Welche Rolle spielt die stationäre Versorgung?
Professor Dr. med. Andreas Neu
Oberarzt an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Tübingen
Schilddrüsenfunktionsstörung bei Kindern und Jugendlichen: Wann ist die Behandlung mit Schilddrüsenhormonen gerechtfertigt?
Professor Dr. med. Heiko Krude
Direktor des Instituts für Experimentelle Pädiatrische Endokrinologie an der Charité–Universitätsmedizin Berlin
Essstörungen bei Diabetes: wenn die Gedanken ständig ums Essen kreisen
Diplom-Psychologin Susan Clever
Diabetespraxis Blankenese, Hamburg
Die Versorgung von morgen: Nachwuchs und Qualifizierung in der Diabetologie und Endokrinologie
Professor Dr. med. Baptist Gallwitz
Pressesprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG); Stellvertretender Direktor, Medizinische Klinik IV, Universitätsklinikum Tübingen
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DDG- und DGE-Pressestelle
Stephanie Balz
Postfach 30 11 20
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Über...
...die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE):
Endokrinologie ist die Lehre von den Hormonen, Stoffwechsel und den Erkrankungen auf diesem Gebiet. Hormone werden von endokrinen Drüsen, zum Beispiel Schilddrüse oder Hirnanhangdrüse, aber auch bestimmten Zellen in Hoden und Eierstöcken, „endokrin“ ausgeschüttet, das heißt nach „innen“ in das Blut abgegeben. Im Unterschied dazu geben „exokrine“ Drüsen, wie Speichel- oder Schweißdrüsen, ihre Sekrete nach „außen“ ab.
...die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG):
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) ist mit über 9.000 Mitgliedern eine der großen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften in Deutschland. Sie unterstützt Wissenschaft und Forschung, engagiert sich in Fort- und Weiterbildung, zertifiziert Behandlungseinrichtungen und entwickelt Leitlinien. Ziel ist eine wirksamere Prävention und Behandlung der Volkskrankheit Diabetes, von der mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Zu diesem Zweck unternimmt sie auch umfangreiche gesundheitspolitische Aktivitäten.