Kraniopharyngeom

Diese Darstellung wurde von Dr. Kirsten Reschke, Universitätsklinik für Endokrinologie und Stoffwechselkrankheiten, Magdeburg erarbeitet. Sie ist bestimmt für Laien, kann aber in keinem Fall das Gespräch mit dem Arzt ersetzen. Nur dieser kann alle Einzelheiten des jeweils persönlichen Falles beurteilen, entsprechend weitere individuelle Aufklärung geben und gebotene diagnostische und ggf. therapeutische Maßnahmen einleiten. Die hier gegebenen Informationen entsprechen dem Wissensstand Mitte 2004. Neue Erkenntnisse können Teile hiervon oder die ganze Darstellung veraltet werden lassen.

Kraniopharyngeome sind gutartige, langsam wachsende Tumore, die in der Region des Türkensattels (Sella turcica) entstehen, wenn sich Zellreste eines während der Embryonalentwicklung angelegten Ganges (Ductus craniopharyngeus) plötzlich vermehren. Durch lokales Tumorwachstum und die Verdrängung gesunder Umgebungsstrukturen kommt es zu Funktionsstörungen der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) und ggf. des Hypothalamus (Teil des Zwischenhirns).

Kraniopharyngeome treten bei Kindern und Erwachsenen auf und umfassen ungefähr 3-5%, bei Kindern 5-10% der Tumore innerhalb des Schädels. Bei Kindern machen Kraniopharyngeome ca. 50% aller Tumoren der Hypophysenregion aus. Frauen und Männer sind gleich häufig betroffen. Die Altersverteilung zeigt je einen Gipfel im Alter von 5-10 und bei 40-60 Jahren.

Das Krankheitsbild wird von der Kompression nahe gelegener Strukturen bestimmt. Eine frühzeitige Diagnose steigert die Erfolgsrate der Behandlung, ein Wiederauftreten der Tumore (Rezidiv) ist möglich und häufiger bei großen Tumoren.

In der feingeweblichen Untersuchung können verschiedene Tumorarten unterschieden werden (sog. adamantinöser und squamöser sowie gemischter Typ). Typisch für adamantinöse Kraniopharyngeome sind zahnähnliche Gewebe, sie werden besonders häufig bei Kindern gefunden. Squamöse Tumoren sind ein Mischbild aus festen Bestandteilen und Zysten (flüssigkeitsgefüllte Hohlräume), weiterhin sind oft Verkalkungen nachweisbar. Die Art des Tumors hat jedoch keinen Einfluss auf die Behandlung.

Klinisches Bild und Symptome

Man kann davon ausgehen, dass die Erkrankung beim Erwachsenen zunächst keine Beschwerden verursacht. Sehstörungen und Kopfschmerzen sind bereits Ausdruck grösseren Tumorwachstums in der Hypophysenregion. Zum Zeitpunkt der Diagnose finden sich fast obligat Zeichen des Hormonmangels und psychische Veränderungen.

Frühe Zeichen
Kinder können durch eine Wachstumsstörung oder z.B. ein Ausbleiben der Pubertät auffallen. Rasche Gewichtsänderungen (sowohl Über- als auch Untergewicht) sind möglich. Veränderungen der Persönlichkeit des Betroffenen, u.a. Konzentrations- oder Merkfähigkeitsstörungen oder psychische Veränderungen fallen Familienangehörigen oft bereits mehrere Monate vor der Diagnosestellung auf.

Späte Zeichen
Allgemeine Tumorsymptome stellen Kopfschmerzen und Sehstörungen dar. Typisch für Tumore der Hypophysenregion ist eine beidseitige Einschränkung des Gesichtsfeldes von außen (bilaterale Hemianopsie), eine völlige Erblindung ist möglich. Hirnnervenausfälle können zu Lähmungen im Bereich der Gesichts- und Augenmuskulatur führen. Übelkeit und Erbrechen sowie ein Gefühl der Leistungsschwäche weisen z.B. auf Ausfälle der Nebennierenhormone und der Schilddrüsenhormone hin. Ein Hydrocephalus (Wasserkopf) kann entstehen, wenn der Abfluss des Hirnwassers (Liquor) gestört ist.

Verlauf ohne Behandlung
Durch ihr verdrängendes Wachstum können die Tumore zu dauerhaften Schädigungen der Umgebung bis zum Tod führen.

Diagnostisches Vorgehen

Endokrinologische Funktions-Diagnostik
Die für die Erkrankungen der Hirnanhangsdrüsenregion übliche Testung der Funktion des Hypophysenvorderlappens muss unbedingt erfolgen, da Ausfälle von Hormonen der Hirnanhangsdrüse häufig sind. Dabei kann wenn möglich ein Insulinunterzuckerungstest oder die Gabe von Freisetzungshormonen erfolgen (sog. Releasinghormon-Test). Gibt es klinische Hinweise für einen Diabetes insipidus (Trink- und Ausscheidungsmenge erhöht, Durst), sollte dieser endokrinologisch bestätigt werden. Spezielle endokrinologische Untersuchungen zum Nachweis oder Bestätigung des Kraniopharyngeoms selbst gibt es nicht.

Bildgebende Verfahren
Bevorzugtes bildgebendes Verfahren ist eine Magnetresonanztomographie (MRT), da sie den Tumor selbst und die Beziehungen zu allen benachbarten Strukturen am besten darstellt. In einer Computertomographie (CT) können die Tumore und ihre charakteristischen Verkalkungen ebenfalls dargestellt werden, sofern z.B. die Durchführung einer MRT bei Schrittmacherträgern oder bei Platzangst nicht möglich ist.

Andere Verfahren (z.B. Augenarzt, Neurologe)
Augenärztliche Untersuchungen mit Beurteilung des Gesichtsfeldes und des Augenhintergrundes sind bei dieser Erkrankung obligat erforderlich. Neurologische Untersuchungen sind bei erhöhtem Hirndruck oder bei Hirnnervenausfällen notwendig.

Therapie-Optionen

Medikamentöse Therapie
Eine medikamentöse Behandlung gibt es für Kraniopharyngeome nicht. Pilotstudien mit einer Interferon Alpha Behandlung zeigten eine hohe Nebenwirkungsrate und ein geringes Ansprechen, so dass diese derzeit nicht empfohlen werden kann. Bei fast allen Patienten lassen sich jedoch als Folge des Tumorwachstums eine verminderte Ausschüttung der Hormone der Hypophyse und nachgeschalteter Hormondrüsen nachweisen. Daher müssen die entsprechenden Hormone ersetzt werden, z.B. Schilddrüsenhormon (L-Thyroxin) oder Nebennierenhormon (Hydrocortison), beim Diabetes insipidus das synthetische Hormon Minirin®.

Operation
Die primäre Therapie sollte möglichst eine chirurgische Entfernung des Tumors sein. Gelingt dies nicht, sollte anschliessend eine Strahlenbehandlung erfolgen. Der operative Zugangsweg durch die Nase (transnasale Operation) ist zu bevorzugen. Patienten mit einem Kraniopharyngeom sollten in einem neurochirurgisch spezialisierten Zentrum von einem in der Hypophysenchirurgie erfahrenen Neurochirurgen operiert werden, um die operationsbedingte Erkrankungs- und Sterberate (bei radikaler Operation bis 20%) so gering wie möglich zu halten. Nicht immer ist es sinnvoll, eine vollständige Entfernung des Tumors anzustreben, da bei sehr radikal ausgeführten Operationen die Komplikationsrate steigt (u.a. Gefahr der Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen, dauerhafter Diabetes insipidus). Oft lassen sich bereits vor der operativen Behandlung Hormonausfälle nachweisen oder es besteht eine Gewichtszunahme. Nach einer Operation wird ein Diabetes insipidus bei ca. 70-90% der Patienten festgestellt. Hormonausfälle sind bei 80-90% der Patienten nachweisbar, eine Hormonersatzbehandlung ist hier notwendig.

Strahlentherapie
Als Möglichkeiten für eine Bestrahlung kommen je nach Größe und Lage des Resttumors neben der konventionellen fraktionierten Bestrahlung der Hypophysenregion (beim Erwachsenen üblicherweise mit einer Einzeldosis von 1,8 Gy und einer Gesamtdosis von 54 Gy) auch neuere Verfahren, wie stereotaktische Bestrahlung mit einem sog. Linearbeschleuniger oder dem. Gamma-Knife- infrage. Die Kombination von Operation und Bestrahlung führt zu einer nach 10 Jahren beurteilten Heilungsrate von 70-83%. Als Langzeitfolge der Strahlentherapie muss mit einem Ausfall der Hormonproduktion der Hypophyse gerechnet werden. Das Einbringen radioaktiv markierter Substanzen wie Yttrium-90 oder Phosphor-32 ist im Einzelfall bei zystischen Tumoren als Therapieversuch möglich. Durch die lokale Bestrahlung soll eine Zystenverkleinerung erzielt werden.

Nachsorge

Patienten mit einem Kraniopharyngeom benötigen eine lebenslange Nachsorge, da die Erkrankung wieder auftreten kann. Neben klinischen und endokrinologischen Untersuchungen sollten anfangs jährlich MRT-Kontrollen der Sella-Region sowie augenärztliche Untersuchungen erfolgen. Tritt ein Rezidiv auf, kann eine erneute operative Behandlung, evtl. mit anschließender Bestrahlung erforderlich werden. Handelt es sich um eine reine Zyste, kann eine Zystenpunktion erfolgen. Eine lebenslange Nachsorge ist auch wegen der bei vielen Patienten notwendigen Substitutions-Therapie mit Hormonen unabdingbar. Bereits vor der Operation bestehende Sehstörungen bilden sich selten zurück, ebenso Störungen von Merkfähigkeit und Gedächtnis.

Die eingeschränkte Lebensqualität von Patienten mit einem Kraniopharyngeom stellt ein großes Problem dar. Diese ist durch das Einwachsen des Tumors in benachbarte Hirnstrukturen mit Kontrollfunktionen über wichtige Lebensfunktionen und vielleicht auch durch den operativen Eingriff bedingt. Aufgrund der bei 30% der Patienten nachweisbaren hochgradigen Adipositas sind Folgeerkrankungen wie Zuckerkrankheit und Herzerkrankungen häufig. Ein Ziel unserer ärztlichen Bemühungen ist es daher, die Entwicklung des Übergewichts zu beeinflussen und damit langfristig die Lebensqualität von Patienten mit einem Kraniopharyngeom zu erhalten.