Hypophyseninsuffizienz

Diese Darstellung wurde von Professor Günter Karl Stalla und Mitarbeitern, Klinisches Institut Endokrinologie, Max-Planck-Institut fürPsychiatrie, München erarbeitet. Sie ist bestimmt für Laien, kann aber in keinem Fall das Gespräch mit dem Arzt ersetzen. Nur dieser kann alle Einzelheiten des jeweils persönlichen Falles beurteilen, entsprechend weitere individuelle Aufklärung geben und gebotene diagnostische und ggfs. therapeutische Maßnahmen einleiten. Die hier gegebenen Informationen entsprechen dem Wissensstand Mitte 2004. Neue Erkenntnisse können Teile hiervon oder die ganze Darstellung veraltet werden lassen.

Klinisches Bild und Symptome

Das klinische Bild bei einem Mangel bzw. kompletten Ausfall eines oder mehrerer der Hormone der Hirnanhangsdrüse (Hypophysen-Insuffizienz) entspricht den Symptomen beim Ausfall des jeweiligen Endorgans. Wachstumshormon ist im Kindes- und Jugendalter vor allem für das Wachstum zuständig, im späteren Leben spielt es eine Rolle bei der Stoffwechselregulation. Häufig zeigen sich die ersten Störungen der Hypophysenfunktion in der Wachstumshormonachse (Minderwuchs beim Kind, bzw. beim Erwachsenen Stoffwechselstörungen, Veränderungen der Körperkomposition und Verschlechterung der Lebensqualität) und der Sexualhormonachse.

Die Hypophysenhormone Luteinisierendes Hormon / LH und Follikelstimulierendes Hormon / FSH sind bei der Frau für die Östrogenausschüttung und die Reifung der Eizellen im Eierstock (Ovar) zuständig, bzw. beim Mann für die Testosteronproduktion und die Reifung der Spermien im Hoden. Ein Mangel an LH und FSH äußert sich im Kindesalter durch Störungen in der Pubertätsentwicklung, bei Erwachsenen in Zyklusstörungen bei der Frau, bzw. Libido- und Potenzverlust beim Mann. Ein fortbestehender Östrogen- bzw. Testosteronmangel kann z.B. zu Osteoporose, Rückgang der Körperbehaarung, Verminderung von Muskelmasse und Antrieb führen.

Prolaktin ist in der Stillzeit wichtig für die Milchproduktion. Sein Ausfall hat sonst keine bisher bekannte nachteilige Wirkung.

Das Adrenocorticotrope Hormon / ACTH stimuliert die Nebenniere zur Produktion von Cortisol und anderen Hormonen, vor allem bei Belastungssituationen. Störungen der Nebennierenhormonachse sind seltener und treten meist später auf, sie äußern sich als Schwäche, Müdigkeit, Gewichtsverlust, Blässe, Übelkeit und Unterzuckerung.

Das Hypophysenhormon Thyreoidea-stimulierendes Hormon / TSH stimuliert die Schilddrüse zur Produktion und Ausschüttung von Schilddrüsenhormonen. Symptome einer Schädigung der Schilddrüsenhormonachse sind Gewichtszunahme, Müdigkeit, Verstopfung, Kreislaufprobleme und viele verschiedene psychische Auffälligkeiten. Bei Tumoren, die oberhalb der Hypophyse liegen oder nach operativen Eingriffen kann ein Diabetes insipidus als Zeichen einer Insuffizienz des Hypophysenhinterlappens mit einem Mangel oder Ausfall des Antidiuretischen Hormons / ADH auftreten. Kennzeichnend sind dann eine stark erhöhte Urinmenge und entsprechend ein vermehrter Durst.

Zusätzlich zu den hormonellen Ausfällen können bei großen Tumoren Symptome wie Kopfschmerzen und Sehstörungen mit Gesichtsfeld-Ausfällen durch die Raumforderung (Druck auf benachbarte Strukturen, z.B. die Sehnerven) auftreten. Die schwerste Verlaufsform einer teilweisen oder kompletten Hypophysenvorderlappen-Insuffizienz stellt das hypophysäre Koma dar mit Stoffwechselentgleisung und Bewusstseinstrübung als Folge der Insuffizienz der Schilddrüsenhormon- und der Nebennierenhormonachse.

Die Ausschüttung der einzelnen Hypophysenhormone wird jeweils von einem übergeordneten Zentrum im Gehirn, dem Hypothalamus, gesteuert. Die Ursache einer Hypophysen-Insuffizienz können angeborene oder erworbene Defekte im Hypophysen- oder Hypothalamusbereich sein. Eine der häufigsten Ursachen ist ein gutartiger Tumor der Hypophyse (Hypophysenadenom), andere Ursachen sind z.B. Entzündungen, Einblutungen, Schädel-Hirn-Traumen oder Bestrahlungen.

Diagnostisches Vorgehen

Endokrinologische Funktions-Diagnostik
Bei Verdacht auf Hypophysen-Insuffizienz muss nach einer gezielten Befragung des Patienten (Anamnese) eine basale Hormondiagnostik oder in manchen Fällen eine endokrinologische Funktionsdiagnostik zur Überprüfung der einzelnen hypophysären Teilfunktionen durchgeführt werden. Wegweisend für die laborchemische Diagnostik der zentralen Störung sind niedrige oder erniedrigte Zielhormone wie z.B. Cortisol und gleichzeitig "inappropriat" niedrige hypophysäre Hormone wie das ACTH, das von der Hypophyse produziert wird und die Cortisol-Ausschüttung in der Nebenniere stimuliert. Zur Abgrenzung, ob die Störung von der Hypophyse oder vom übergeordneten Hypothalamus ausgeht, sind - falls notwendig - Kombinationen von Stimulationstests erforderlich, die auf verschiedenen Ebenen die Hormonsekretion des Hypophysenvorderlappens stimulieren. Der wichtigste Test ist der so genannte Insulinhypoglykämie-Test, der die Beurteilung der Integrität der Hypothalamus-Hypophysenachse und damit der Stressfähigkeit erlaubt.

Die direkte Stimulierbarkeit der Hypophysenhormone wird mit Hilfe von sog. Releasing-Hormonen - gegebenenfalls aus Praktikabilitätsgründen in kombinierter Gabe - überprüft. Als Releasing-Hormone werden Substanzen bezeichnet, die normalerweise vom Hypothalamus über den sog. Hypophysenstiel in die Hypophyse gelangen und dort die Ausschüttung ihres Zielhormones stimulieren. Ein kompletter Releasinghormontest (CRH, GnRH, TRH, GHRH+Arginin) in Kombination mit dem an einem anderen Tag durchgeführten Insulinhypoglykämie-Test erlaubt den Ort der funktionellen Schädigung (Hypothalamus oder Hypophyse) festzustellen.

Bildgebende Verfahren
Da die häufigste Ursache der Hypophyseninsuffizienz Tumore im Bereich des Hypothalamus oder der Hypophyse sind, muss eine bildgebende Diagnostik erfolgen. Den höchsten Stellenwert hat hier die Kernspintomographie, mit der Prozesse bereits ab einer Größe von 2 mm erfasst werden können.

Andere Verfahren, z.B. Augenärztliche Untersuchung
Bei Hypophysentumoren ist aufgrund der engen räumlichen Beziehung zwischen der Hypophyse und den Sehnerven eine augenärztliche Diagnostik erforderlich. Die wichtigste Untersuchung ist hierbei die Bestimmung der Gesichtsfeldgrenzen (Gesichtsfeldperimetrie).

Therapie-Optionen

Die Therapieindikation richtet sich nach der Ursache der Hypophysen-Insuffizienz. Bei Vorliegen eines Hypophysentumors richtet sich das Vorgehen nach der Tumorart und –größe bzw. dem drohenden Eintreten von Schädigungen durch die Raumforderung, z.B. Chiasmasyndrom (Einschränkung der Gesichtsfelder) oder Entwicklung einer Hypophyseninsuffizienz. Bei operativer bzw. medikamentöser Verkleinerung oder Entfernung eines Tumors kann es zu einer teilweisen oder kompletten Wiederherstellung einer bereits eingeschränkten Hypophysenfunktion kommen. Jahre nach einer Strahlentherapie kann es auch zur Verschlechterung der Hypophysenfunktion kommen. Bei einem Makroprolaktinom kann eine medikamentöse Therapie zu einer schnellen Tumorreduktion führen. Deswegen wird bei diesem Tumor fast immer die primäre medikamentöse Therapie gewählt. Vor einer Operation muss eine genaue Hormondiagnostik durchgeführt werden, um eine adäquate Therapie z.B. bei eingeschränkter Stressfähigkeit zu gewährleisten, aber auch um eine Übersicht über das funktionelle Operations-Ergebnis zu haben. Im Verlauf der Therapie eines Hypophysentumors muss eine Hypophysen-Insuffizienz durch Hormonersatz (Substitution) therapiert werden.

Substitutionstherapie
Die Therapie bei Hypophysenvorderlappen-Insuffizienz entspricht der Therapie der primären Insuffizienz des jeweiligen Endorgans. Das bedeutet, dass die Zielhormone Cortisol (= Hydrocortison) und Thyroxin angepasst an den Hormonbedarf des Körpers medikamentös ersetzt werden. Ebenso werden die Zielhormone der Sexualhormone substituiert, bei der Frau mit Östradiol/Progesteron-Derivaten, beim Mann mit Testosteron. Bei Kinderwunsch ist sowohl bei Frauen wie bei Männern eine zusätzliche Therapie mit pulsatil appliziertem GnRH oder mit hCG/hMG möglich. Bei Wachstumshormonmangel wird direkt das hypophysäre Hormon Wachstumshormon (Growth hormone / GH) ersetzt, wobei sich die Dosierung am IGF-I Spiegel orientiert. Die meisten Wirkungen des Wachstumshormons werden nämlich durch das unter seinem Einfluss v.a.D. in der Leber gebildete IGF-I (= insulin-like growth-factor I) vermittelt. Prolaktin wird nicht substituiert. Bei Diabetes insipidus erfolgt die Substitution mit dem entsprechenden Hormon des Hypophysenhinterlappens (Analog des Antidiuretischen Hormons / DDAVP). Speziell die Hydrocortisonsubstitution soll entsprechend der Tagesrhythmik in mehreren Einzeldosen über den Tag verteilt und mit morgendlich höherer Dosierung eingenommen werden. Bei Stress-Situationen - wie Trauma, Operation und Fieber - ist eine Erhöhung der Hydrocortisondosis zwingend erforderlich. Die fehlenden Hormone müssen - mit Ausnahme des Prolaktins - im Rahmen einer Substitutionstherapie nach gelegentlicher Überprüfung lebenslang ersetzt werden. Hormonersatztherapie in korrekter Dosierung hat keine schädlichen Nebenwirkungen.

Bei der Notfallsituation des hypophysären Komas stellt die sekundäre Nebennierenrindeninsuffizienz die wichtigste Bedrohung des Patienten dar und muss sofort durch intravenöse Gabe von Hydrocortison und Flüssigkeitsersatz behandelt werden, ggfs. erfolgt begleitend eine intensivmedizinische Behandlung. Erst in einem zeitlichen Abstand von etwa 12 - 24 Stunden nach Einleitung der Hydrocortisonsubstitution kann mit der Gabe von Schilddrüsenhormon begonnen werden, da eine sofortige Gabe von Schilddrüsenhormon den Hydrocortisonbedarf erhöhen würde und der Organismus verstärkt in die Nebennierenrindeninsuffizienz getrieben würde. Dann würde man z.B. mit einer Dosis von 50 µg des Schilddrüsenhormons Thyroxin (Abkürzung: T4) beginnen und langsam um jeweils 25 µg steigern bis zur Normalisierung der peripheren Werte (vor allem des aus T4 entstehenden aktiven Hormons Trijodthyronin, Abkürzung: T3). In seltenen Fällen kommen T3/T4-Kombinationspräparate zum Einsatz.

Nachsorge

Während und nach einer operativen oder andersartigen Therapie eines Hypophysenadenoms müssen Kontrollen der hormonellen Situation durchgeführt werden (bei Operation zunächst etwa 4-6 Wochen nach der Operation). Eine Hypophysen-Unterfunktion bessert sich gelegentlich nach Operation eines Hypophysenadenoms, wahrscheinlich durch Wegfall des Druckes und/oder durch Verbesserung der Durchblutung vorhandener Reste des gesunden Hypophysengewebes. Daher sind nach einer solchen Operation ärztlicherseits Kontrollen der Substitutionstherapie nach 6 Monaten und danach halbjährlich durchzuführen. Nach Ablauf von einigen Jahren sind jedoch keine Veränderungen mehr zu erwarten (Ausnahme: Strahlentherapie, Rezidiv-Tumore). Mit zunehmendem Lebensalter können Dosisanpassungen notwendig werden.