Nebennierenhormonmangel - "Nebenniereninsuffizienz"

SARS-CoV2: Hinweise für Patienten mit Nebenniereninsuffizienz

Stellungnahme der Sektion Nebenniere, Steroide und Hypertonie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (Aktualisierung Juni 2020):

Die Pandemie mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV2 hat die Welt verändert und verunsichert. Erst erschien das Virus weit weg, plötzlich war Europa einer der Hotspots mit hohen Krankheitszahlen. In den letzten Wochen hat sich die Situation insbesondere in Deutschland erfreulicherweise stabilisiert. Ausbrüche an verschiedenen Orten und auch die Situation in anderen Ländern zeigen uns aber, dass die Gefahr leider keineswegs gebannt ist und unser aller Alltag auch in den kommenden Monaten weiterhin von der Pandemie geprägt sein wird.

Bereits im März hatten wir als Sektion erste Hinweise für Menschen mit Nebenniereninsuffizienz veröffentlicht, wohlwissend, dass das Wissen um das neuartige Virus und seine Auswirkungen noch sehr unzureichend war. Auch jetzt, drei Monate später, ist unser Wissen begrenzt. Verschiedene Studien der vergangenen Jahre haben Hinweise auf ein generell erhöhtes Infektionsrisiko bei Patienten mit Nebenniereninsuffizienz hervorgebracht. Diese Arbeiten haben jedoch nicht näher untersucht, welche Infektionserreger (Bakterien, Viren oder Pilze) eine Rolle spielen, in welchen Organen sich die Infektion abspielt (z.B. Nasennebenhöhlen, Lunge, Blase, Darm) und ob bei den Betroffenen weitere Erkrankungen wie Diabetes, Herz- oder Lungenerkrankungen vorliegen.

Auch in anderen Ländern außerhalb Deutschlands haben Experten Stellungnahmen herausgegeben, aussagekräftige Studien zu COVID-19 bei Patienten mit Nebenniereninsuffizienz gibt es bislang nicht. Wir können daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit letzter Sicherheit sagen, ob bei Nebenniereninsuffizienz ein höheres Ansteckungsrisiko mit SARS-CoV2 besteht.

Andererseits haben wir aber auch erfreulicherweise keine Anhaltspunkte dafür, dass Patienten mit Nebenniereninsuffizienz ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID-19 Erkrankung tragen.

Um mögliche Auswirkungen einer COVID-19 Erkrankung bei Nebenniereninsuffizienz besser einordnen zu können, haben wir gemeinsam mit dem europäischen Endo-ERN-Netzwerk eine Initiative gestartet, in deren Rahmen wir zunächst entsprechende Daten sammeln möchten. Wenn Sie als nebenniereninsuffizienter Patient an COVID-19 erkrankt waren oder sind, freuen wir uns daher über eine Kontaktaufnahme unter folgender E-Mail-Adresse:

Für die kommenden Monate und den „neuen Alltag“ mit dem SARS-CoV2 Virus erscheinen uns folgende Hinweise besonders wichtig:

  • Infektionserkrankungen – und somit natürlich auch eine COVID-19 Erkrankung – können zum Auftreten einer bedrohlichen Nebennierenkrise führen, wenn die Hydrocortisondosis nicht rechtzeitig und ausreichend erhöht wird. Bitte handeln Sie bei Zeichen eines Infektes (Fieber, Glieder-, Hals-, Kopfschmerzen, Husten, etc.) nach den Grundregeln, wie wir sie auch in unserer Patientenschulung vermitteln. Diese Regeln gelten unabhängig davon, welches Virus oder welches Bakterium eine Erkrankung verursacht.

    Infekt mit leichtem bis mittlerem Krankheitsgefühl ohne Fieber
    Tagesdosis verdoppeln, ggf. zusätzlich abends 5-10 mg Hydrocortison

    Akute Erkrankung und/oder Fieber mit deutlichem Krankheitsgefühl
    Tagesdosis verdreifachen oder 30-20-10 mg Hydrocortison (bei Tagesdosis ≤ 20 mg Hydrocortison/d)
    Dringend ärztliche Hilfe einholen!

    Anhaltendes Erbrechen/ Durchfall oder hohes Fieber (>39°C) mit schwerem Krankheitsgefühl
    100 mg Hydrocortison (oder anderes Glucocorticoid) als Selbstinjektion oder als Infusion
    SOFORT ärztliche Hilfe einholen!

    Im Zweifelsfall IMMER großzügig Hydrocortison einnehmen! Erst handeln, dann denken! Nach jeder Selbstinjektion Arzt/Notarzt informieren oder Krankenhaus aufsuchen, NOTFALLAUSWEIS vorlegen und idealerweise den letzten Arztbrief mitnehmen.
  • Überprüfen Sie Ihren Vorrat an den notwendigen Medikamenten einschließlich der Notfallmedikamente und deren Ablaufdatum. Ein „Hamstern“ übergroßer Mengen ist nicht sinnvoll, Sie sollten aber ausreichend Medikamente auch für eine eventuelle Dosiserhöhung vorrätig haben. Bitte kontrollieren Sie, ob Ihr Notfallausweis noch aktuell ist und tragen Sie diesen bei sich.
  • Nehmen Sie Ihre Kontrolltermine bei Ihrem Endokrinologen/ Ihrer Endokrinologin wahr, damit eine gute Einstellung Ihrer Therapie gewährleistet ist. Bei Unsicherheiten oder Beschwerden nehmen Sie bitte Kontakt mit Ihrem Arzt/ Ihrer Ärztin auf – ggf. zunächst auch erst einmal telefonisch.
  • Um das Ansteckungsrisiko für sich, Ihre Familie und letztendlich uns alle gering zu halten, sollten Sie sich im privaten wie auch im beruflichen Umfeld weiterhin konsequent an die empfohlenen Abstands- und Hygieneregeln halten (regelmäßiges und gründliches Händewaschen, Husten- und Niesetikette, Tragen eines gutsitzenden Mund-Nasen-Schutzes in öffentlichen Verkehrsmitteln, Geschäften, beim Arzt etc.). Vermeiden Sie größere Menschenansammlungen und beschränken Sie Ihre persönlichen Kontakte auf einen kleinen Kreis von nahestehenden Menschen.
  • Für ein generelles Arbeitsverbot bzw. „Homeofficegebot“ für Menschen mit Nebenniereninsuffizienz sehen wir angesichts des Verlaufes der letzten Monate und der aktuellen Situation in Deutschland keinen Anhalt. Sprechen Sie Ihren Endokrinologe/ Ihre Endokrinologin an, wenn Sie sich Sorgen machen oder unsicher sind. Er/ sie wird Sie gerne unter Berücksichtigung Ihrer speziellen gesundheitlichen und beruflichen Situation beraten.

Einleitung

Das Wort "Nebenniereninsuffizienz" bedeutet "Unterfunktion der Nebennieren". Da die Nebenniere ein hormonproduzierendes ("endokrines") Organ ist, bedeutet dies für betroffene Patienten, dass sie einen Mangel an Nebennierenhormonen haben. Weil die Nebenniere ganz unterschiedliche Hormone produziert und damit verschiedene Funktionen wahrnimmt, kann der Hormonmangel auch mit ganz unterschiedlichen Symptomen in Erscheinung treten. Die Kenntnis der Nebennierenfunktion ist für Patienten deshalb sehr wichtig, denn Nebennierenhormone sind lebenswichtige Hormone und auch die Behandlung orientiert sich an der Ursache und dem Funktionsverlust (Hormonausfall) des Organs.

Nebennierenfunktion und Symptome bei Unterfunktion

Die Nebenniere lässt sich anatomisch in die Nebennierenrinde sowie das Nebennierenmark unterteilen und ist ein wichtiges Erfolgsorgan des Stresssystems. Sie produziert deshalb sogenannte Stresshormone, wie Cortisol und Adrenalin. Die Nebenniere dient der Regulation des Blutdrucks, z.B. zur Versorgung des Gehirns (siehe Abbildung). Dafür wird über die Regulation des Salzgehaltes im Blut (durch die Nebennierenrindenhormone Aldosteron und Cortisol) und des Blutzuckerspiegels (durch Cortisol) Flüssigkeit für den Körper gebunden. Das aus dem Nebennierenmark ausgeschüttete Adrenalin bewirkt über seine Wirkung an den Blutgefäßen einen Blutdruckanstieg. Eine Überfunktion der Nebenniere kann deshalb sehr leicht zu Bluthochdruck führen, eine Unterfunktion hingegen zu niedrigen Blutdruckwerten mit Schwindel, "Schwarzwerden vor den Augen", manchmal sogar "Ohnmachten" und Herzrasen.

Allerdings haben die Hormone der Nebennierenrinde noch weitere Funktionen: Cortisol ist in vielfältige Stoffwechselprozesse des Körpers eingebunden und stellt ein lebenswichtiges Stresshormon dar. Es reguliert den Energieumsatz in nahezu jeder Körperzelle und nimmt damit Einfluß auf den Blutzucker, den Eiweißstoffwechsel, das Immunsystem und den Knochenstoffwechsel. Eine Überfunktion kann deshalb zu erhöhten Blutzuckerwerten, zu Hunger und Schlaflosigkeit, zur Muskelschwäche, zur Infektionsneigung und Knochenschwund ("Osteoporose") führen. Eine Unterfunktion hingegen führt zu niedrigen Blutzuckerspiegeln, Natriummangel und Übelkeit, oft ausgedehnter Müdigkeit, zu einer beispiellosen Schlappheit, typischerweise zu Frösteln/Frieren, manchmal auch zu Muskel-, Gelenk- und Knochenschmerzen. Oft müssen die Patienten auch nachts häufig auf die Toilette.

Neben Cortisol und Aldosteron produziert die Nebennierenrinde noch den Hormonvorläufer Dehydroepiandrosteron (DHEA). Es stellt eine Ausgangssubstanz für männliche und weibliche Sexualhormone (Testosteron und Östrogen) dar. Ein DHEA-Mangel bei Nebennierenunterfunktion macht sich insbesondere bei Frauen in Form von Hauttrockenheit, Verlust der Scham- und Achselbehaarung und manchmal durch eine Abnahme der Libido bemerkbar.

Regulation der Nebennierenfunktion und Ursachen einer Unterfunktion

Aufgrund der verschiedenen hormonellen/endokrinen Funktionen, die die Nebenniere ausfüllt, ist sie in komplizierte, aber sehr interessante Regulationssysteme eingebunden (siehe Abbildung). Deshalb gibt es auch verschiedene Gründe für den Ausfall der Nebennierenfunktion. Die Regulation der Nebennierenrindenhormone findet über zwei verschiedene Haupt-Regelkreise statt, die Hypothalamus-Hypophysen(Hirnanhangsdrüsen)-Nebennieren-Achse und das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System.

Die Synthese von Cortiol und DHEA wird durch die Hirnanhangsdrüse (Ausschüttung von ACTH) gesteuert. Cortisol gibt der Hirnanhangsdrüse über seinen Blutspiegel eine Erfolgsmeldung und hemmt die Produktion von ACTH ("negative Rückkopplung"). Bei einem Ausfall der Hirnanhangsdrüse spricht man von einer "sekundären Nebenniereninsuffizienz", weil die Unterfunktion der Nebenniere nur eine Folge der Unterfunktion der Hirnanhangsdrüse ist. Es kommt zu einem Mangel des Stimulationshormons ACTH. Die beiden ACTH-abhängigen Hormone Cortisol und DHEA werden infolgedessen nicht mehr ausreichend gebildet. Da die Nebenniere nicht mehr aktiviert wird, schrumpft sie. Aldosteron wird jedoch aufgrund der Regulation über den Renin-Angiotensin-Aldosteron-Regelkreis weiter gebildet.

Da sich die Hirnanhangsdrüse mit ihrer ACTH-Produktion auf die Versorgung des Körpers mit Cortisol einstellt, führt eine Übertherapie mit Hydrocortison (=Cortisol) ebenfalls zu einem Verlust der ACTH-Produktion. Wird das Hydrocortison dann zu schnell in der Dosis reduziert oder gar abgesetzt bzw. plötzlich weggelassen, kann die Hirnanhangsdrüse mit ihrer ACTH-Produktion den Bedarf nicht mehr decken. Das trifft auch für den viel häufigeren Fall zu, wenn eine Therapie mit Medikamenten durchgeführt wurde, die dem Cortisol-Molekül künstlich nachempfunden wurden. Man bezeichnet diese Therapie häufig (aber nur selten zutreffend) als "Cortisontherapie" (siehe Patienteninformation "Therapie mit Glukokortikoiden").

Die Abbildung stellt die Nebennieren und ihre verschiedenen Regelkreise dar. Der "hormonelle" Regelkreis (Hypothalamus-Hirnanhangsdrüsen-Nebennieren-Achse) wird über ACTH (adrenocrticotropes Hormon, Nebennieren-Stimulations-Hormon) aus der Hypophyse und Cortisol reguliert, der "neuronale" Regelkreis über das Nervensystem und Adrenalin ("->" bedeutet Stimulation; "-|" bedeutet Hemmung). Die Aldosteronproduktion erfolgt weitgehend ACTH-unabhängig über das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System.

Die letzten Schritte der Aldosteronsynthese sind nicht mehr von ACTH abhängig, sondern in die Regulation des Salz-Wasserhaushalts eingebunden und unterliegen der Steuerung durch das Herz-Kreislauf- und das Renin-Angiotensin-System (siehe Abbildung). Es gibt eine ganze Reihe von Medikamenten, die das Renin-Angiotensin-System und die Aldosteronproduktion drosseln. Diese werden hauptsächlich bei der Behandlung des Bluthochdrucks und bei Herzschwäche eingesetzt: sogenannte Betablocker, Reninhemmer, ACE-Hemmer, AT1-Blocker und auch bestimmte harntreibende Medikamente.

Natürlich kann man auch eine Nebennierenrindeninsuffizienz bekommen, wenn die Nebenniere durch eine Erkrankung selbst betroffen ist. Dann spricht man von einer primären Nebenniereninsuffizienz (Morbus Addison). Am häufigsten entsteht sie in Europa durch eine Autoimmunentzündung mit Zerstörung des Nebennierenrindengewebes. Eine primäre Insuffizienz kann aber auch z. B. durch eine Einblutung, Infektion oder operative Entfernung verursacht sein. Patienten mit primärer Nebenniereninsuffizienz weisen einen Mangel aller Nebennierenrindenhormone auf. Eine Sonderform stellt das Adrenogenitale Syndrom (kongenitale adrenale Hyperplasie) dar.

Therapie

Die Therapie orientiert sich an den hormonellen Ausfällen. Ein Cortisolmangel muss in jedem Fall durch eine entsprechende Hormonersatztherapie ausgeglichen werden. Typischerweise wird eine Therapie mit Hydrocortison oder einer ähnlichen Substanz durchgeführt (siehe Informationen für Patienten "Therapie mit Glukokortikoiden"). Bei einem Mangel an Aldosteron wird in der Regel Fludrocortison gegeben. Der DHEA-Mangel muss nicht zwingend ausgeglichen werden. Ein offiziell zugelassenes Präparat ist momentan nicht verfügbar. Manche Frauen, insbesondere, wenn sie unter starker Hauttrockenheit, Libidomangel oder genereller Leistungsminderung leiden, profitieren jedoch von einer DHEA-Einnahme. Auch bei Männern konnten in Einzelfällen positive Effekte beobachtet werden. Allerdings sind Männer bei gesunder Funktion der Hoden ausreichend mit Testosteron versorgt. Eine andere Möglichkeit, dem Ausfall an "männlichen Hormonen" bei Frauen zu begegnen, besteht in der Applikation eines für die "Menopause" zugelassenen Testosteronpflasters (z.B. Intrinsa®). Einige Frauen nehmen lieber eine besondere "Pille", die ein Hormon enthält, welches auch eine testosteronartige Wirkung entfaltet. Aufgrund der verschiedenen möglichen Wirkungen und Nebenwirkungen sollten diese Therapien in enger Abstimmung zwischen Patienten und Endokrinologen ausgewählt und überwacht werden.

Sehr wichtig ist die Anpassung der Hormonersatztherapie bei Stress. Patienten mit einer Nebennierenunterfunktion können sogenannte Nebennierenkrisen (Addison-Krisen) erleiden. Diese stellt eine bedrohliche Situation dar, so dass die Vorbeugung solcher Krisen außerordentlich wichtig ist. Krisen entstehen dadurch, dass der aktuelle Cortisol-Bedarf des Körpers höher ist als durch die Ersatztherapie abgedeckt wird. Dies kann der Fall sein bei körperlichen Belastungssituationen (z. B. fieberhafter Infekt, Operationen, intensive körperliche Betätigung). In manchen Situationen gelingt es dem Körper zudem nicht, die eingenommenen Tabletten in ausreichendem Maße aufzunehmen, z. B. bei Erbrechen oder Durchfall (siehe Informationen für Patienten "Therapie mit Glukokortikoiden")

Weitere Literatur:

Hilfreiche Internet-Adressen:

 

Autoren:
PD Dr. H. Willenberg,
PD Dr. S. Hahner,
Prof. Dr. F. Beuschlein,
PD Dr. S. Diederich,
PD Dr. M. Fassnacht.,
PD Dr. M. Quinkler,
PD Dr. F. Riepe
für den Beirat der Sektion Nebenniere, Steroide und Hypertonie